Agilität im Maschinenbau – Frust oder Segen?

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In Maschinenbauunternehmen hat klassisches Projektmanagement mit Aufgabenpaketen, klaren Zielvorgaben und Zeitplänen eine lange Tradition.

Gleichzeitig setzt mit steigendem Anteil und Wichtigkeit der Software auch im Maschinenbau ein unaufhaltsamer Wandel hin zu einer „Softwarekultur“ ein. Die SW-Entwicklungsmitarbeiter „fordern“ dabei Agilität, eigenverantwortliche Selbstbestimmung und Freiraum für Experiment.

Dieser Freiraum und die Ungewissheit im Ergebnis mag ganz neue, bisher ungedachte Lösungen hervorbringen, ist aber mit der parallellaufenden Hardwareentwicklung des klassischen Maschinenbaus schwer vereinbar. Die Mitarbeiter der mechanischen Entwicklung brauchen, speziell bei stetig steigenden Lieferzeiten von Komponenten, mehr Vorausplanbarkeit und Planungssicherheit. Nicht alles lässt sich im 3D Druck „On-Demand“ erzeugen.

Auf dem Weg in Richtung Digitalisierung treffen in allen Maschinenbauunternehmen früher oder später diese beiden Kulturströmungen aufeinander. Dabei stehen diese Strömungen im ersten Aufeinandertreffen unweigerlich im Widerspruch und führen zu Frustration beider Mitarbeitergruppen. Je mehr die Wünsche der einen Mitarbeitergruppe erfüllt wird, desto höher ist das Frustrationsniveau der anderen Gruppe. Zusätzlich leidet die Geschäftsführung in dieser Entwicklung zwangsläufig an entstehendem „Kontrollverlust“.

Mit welchen Führungs- und Steuerungskonzepten und/oder Werkzeugen kann das Management diesen Konflikt mildern oder gar beheben?

Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass diese beide Welten in kleinen Schritten einander näher gebracht, und die gesamte Organisation agiler und damit resilienter gemacht werden kann. Es erfordert aber neben einem Wandel in der Produktdefinition auch einen grundlegenden Kulturwandel im Unternehmen.

Die Veränderung der Produktdefinition beginnt damit, die Entwicklungsschritte auch in der Hardware nicht mehr als großes Ganzes, sondern als möglichst kleine, modulare Einheiten zu definieren. Auf dieser Basis können interdisziplinäre Entwicklungsteams für Software- und Hardwareentwicklung  zusammenarbeiten und rascher auf Veränderungen reagieren.

„Mit Eigenverantwortung die Mitarbeiter machen lassen“ ist oftmals die Empfehlung zum notwendigen Kulturwandel.

Meine Erfahrung hat aber gezeigt, dass ein durch den Taylorismus über Generationen sozialisiertes Arbeitsverständnis, mit „handeln“ oder „machen“ schon oftmals ein befriedigendes Gefühl erzeugt. Diese positive Stimmung muss aber nicht zwingend ein positives Ergebnis im Sinne einer Zielerreichung bedeuten.

Das fordert Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen. Für alle heißt es – wenn Agilität wirklich gelebt wird – Abschied nehmen von lange antrainierten Rollen und Tätigkeiten.

Führungskräfte verlagern Ihr Augenmerk auf die Mitarbeiter, deren Entwicklung in den neuen Rollen und die gesamtunternehmerische Ergebnisverdichtung der einzelnen autonomen Teams. Sie werden dabei mehr und mehr zum Mentor, Coach und Personalentwickler. Verbindender Rahmen ist ein definierter Wertekatalog und die Antwort auf die Frage: Wofür machen wir das alles?

Die Mitarbeiter wiederum übernehmen noch mehr unternehmerische Verantwortung für ihre jeweils eigenverantwortliche Selbstbestimmtheit und neuen Entscheidungsfreiräumen in den einzelnen agilen Zellen. Dabei werden sie mehr und mehr vom Product Owner zum Ergebnis Owner.

In der Vorbereitung ist es ganz essentiell für alle Beteiligten, sich über die angewendeten Methoden der Kommunikation und Steuerung Klarheit zu verschaffen.

Mit einer vorgeschalteten Statusermittlung (z.B über die ganz entscheidende Methodenkompetenz, Rollenverständnis, vorhandener Kommunikationskanäle und -werkzeuge) kann die Ausgangsbasis ermittelt werden. Darauf aufbauend ist eine intensive Begleitung aller Teilnehmer in diesem Wandel – Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen – sehr zu empfehlen.

Ebenso empfehlenswert sind übergreifende Learnings-Einheiten, um die Lernkurve möglichst großflächig aus den Erkenntnissen der einzelnen Teams mitwachsen zu lassen. Denn: Selbstbestimmtheit bedeutet nicht immer automatisch Top-Performance, bietet aber das Potential einer exponentiellen Lernkurve.

All das ist einfach hingeschrieben, aber in Wahrheit ein steiniger Weg mit Selbstzweifeln, Frustrationen und Ergebniseinbußen, bevor eine erwachende Eigendynamik die neuen kleinen Zahnräder ineinander greifen lässt.

Zusammengefasst ist die gute Nachricht also: Es ist machbar und kann mit Fokus auf ganz neue Themen der Mitarbeiterentwicklung in Unternehmen gewinnbringend gezüchtet und zum Wachsen geführt werden. Gesteigerte Motivation und Innovationskraft, raschere Reaktionsfähigkeiten, sowie Resilienz sind der Lohn für Mitarbeiter:innen und Unternehmer:innen.

Die schlechte Nachricht: Wir als Unternehmer haben ohnedies keine andere Wahl.

Nur auf dieser Grundlage wird auch in Zukunft Mitarbeiter:innen Gewinnung und Bindung auf Grundlage persönlicher Entfaltungsspielräume nachhaltig gelingen.

Die immens gestiegene Veränderungsgeschwindigkeit am Markt zwingt Unternehmen zur Umrüstung von Superfrachtern auf wendige Schnellboote. Kapitäne und Crew auf diesen Schiffen brauchen aber ganz andere Fähigkeiten, als jene auf Großschiffen.

Aber Achtung: Hüten Sie sich vor Beratern:innen und Heilsversprechen, welche Agilität als Zweck verstehen. Denn der Kulturwandel hin zu agilen Arbeitsformen und Selbstbestimmtheit aller Mitarbeiter:innen schafft nun mal nicht das Geld ab. Der wirtschaftliche Erfolg bleibt bis auf weiteres die einzige Überlebenssicherung für privatwirtschaftliche Unternehmen.

Diese und ähnliche Themenstellungen klären Unternehmer:innen und Führungskräfte regelmäßig in unserem Unternehmerbeirat BeXecutive BOARD. Eine Plattform zur persönlichen Weiterentwicklung von Unternehmer:innen für Unternehmer:innen.

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